Kontakt ist für den Menschen lebenswichtig. Persönlicher Austausch und direktes Erleben des
Gegenübers spielen für gelingende persönliche und gesellschaftliche Entwicklung eine essentielle
Rolle. Dadurch ermöglicht, hat sich jedoch auch das Corona-Virus verbreitet – und die Kontinente
auf ganz eigene Art vereint: Kaum zuvor stand beinahe jedes Land der Welt zeitgleich vor einer
identischen unmittelbaren Herausforderung. Auf internationaler Ebene sorgt dies organisatorisch
für erweiterte Kommunikationserfordernis und zusätzlichen Austausch über die Lage,
zwischenmenschlich bedeutet es jedoch das Gegenteil: Separation.Diese Dynamik greift
Inge Miczka in ihrer neuen Installation „Fulfillment“ auf:
Mit 10.000 Glasfläschchen, die von Pharma-Herstellern zum Versand von Impfserum verwendet
werden, bildet die Künstlerin die Weltkarte der fünf Kontinente nach. Beim Umschreiten der imposanten
Bodeninstallation von ca. 8 x 12 m entstehen Fragen wie „Welcher Umgang mit dem Virus ist der
sinnvollste?“; „Wäre eine rasche gleichzeitige Impfung aller Menschen weltweit nicht ideal?“;
„Welcher gesellschaftliche Zusammenhalt könnte durch allgemeine Impfbefürwortung entstehen?“
oder „Welche nationalen bzw. politischen Aspekte erschweren einen internationalen Gesamterfolg?“.
Sowohl die künstlerische Installation als auch Inge Miczka lassen Fragen wie diese offen. Vielmehr
öffnet die Arbeit die „emotionalen Augen“: Sie macht auf einen Blick bewusst, dass sich alle
Menschen der Welt aktuell in nahezu der gleichen Situation befinden: Bei einer Weltbevölkerung
von ca. 8 Milliarden Menschen entspricht jedes Serums-Gläschen 800.000 Menschen, die durch
Corona ihr Leben verändern mussten und vieles entbehren. Zudem sind die 10.000 Gläschen nicht
miteinander verbunden, sondern einzeln freistehend. Damit ist die Installation in sich so fragil –
und gleichzeitig so flexibel, wie es menschliche Gesellschaft ist. Insgesamt schwingt Hoffnung mit:
Wenn die Impfquoten steigen würden, könnten sich Menschen aller Länder und Kontinente bald
auch physisch wieder so nah sein, wie es die Gläschen in Inge Miczkas Arbeit verheißen.
Mit ihrer Bodeninstallation führt Inge Miczka ihr nachhaltig orientiertes künstlerisches
Grundkonzept fort: Sie arbeitet mit vorgefundenem bzw. gebrauchtem Material, stellt es in
neue ungewohnte Zusammenhänge und eröffnet dadurch weiterführende inhaltliche Ebenen.
So sind auch die Glasfläschchen der Installation keine bestellte Neuware, sondern ungebrauchtes
Ausschussmaterial, welches der Hersteller der Künstlerin überließ.
Text von Daniel Scheffel
Diese mehrteilige Arbeit beinhaltet insgesamt 18 Bildern, die in 3 Reihen angeordent sind.
Der Titel ist „3 Wellen“ und thematisiert im Pandemiegeschehen das zentrale Thema "Auflösung“. Formal als auch sozial nehmen die Bilder Bezug auf die coroanbedingte Änderung von persönlichen Kontakte, Nähe und Abstand. Auf dem erst Bild jeder Reihe ganz links werden unterschiedlich große Menschenmengen gezeigt, gemalt mit Ölfarbe. Die nächsten Bilder sind am Computer generiert und ausgedruckt und lösen sich mit einen größer werdenden Mosaikmuster auf bis zu einem individuellen Grauton, der dann immer ganz rechts zu sehen ist.
„...and the world will live as one.“ – die Vision aus John Lennons Friedenshymne‚Imagine‘ scheint aktuell weiter entfernt als noch vor wenigen Wochen. Das Kriegsgeschehen direkt vor Europas Toren macht auf grausame Weise deutlich, wie unterschiedlich Haltungen, Ansichten und Ideale – wie uneinig sich Menschen doch sein können. Dieses Themenfeld greift Inge Miczka in ihrer aktuellsten Werkreihe ‚Empty‘ auf: Aus leeren Patronenhülsen hat die Künstlerin Motive für Relief-Arbeiten und Fotografien gefertigt. Für die zwei Relief-Arbeiten wurden Hülsen stehend auf Alu-Dibond-Platten aufgebracht. Im einen Motiv ist eine Fläche inmitten der Hülsen ausgespart, im anderen wurde genau diese ausgesparte Fläche aus Hülsen dargestellt und die Umgebung leer belassen. Die Fotografien zeigen leere Patronenhülsen in verschiedenen Arrangements – mal aufgereiht stehend, mal durcheinander liegend, in kleinenGruppen angeordnet oder in größeren Verbünden zusammenstehend. Doch leer sind nicht nur die Patronenhülsen auf der sichtbaren Bildebene. Inge Miczkas Arbeiten öffnen auch den Zugang zu den immateriellen, den emotionalen Ebenen – jenen Bereichen, in welchen sich aufgrund kriegerischer Zerstörung die Leere besonders weit ausbreitet. So erinnern die aufgereiht stehenden Hülsen in einer der Fotografien an die Silhouette einer Stadt. Die eng beieinander stehenden Patronenhülsen auf einer anderen Fotografie muten beinahe an wie eine Gruppe Personen. Krieg verbreitet bei beiden gleichermaßen Leere: Er zerstört Städte und lässt sieverwaisen, er generiert innere Leere bei den Überlebenden, schafft Ohnmacht und Orientierungslosigkeit.Letzteres schwingt etwa in den beiden Relief-Arbeiten mit ausgesparter sowie isoliert stehender Innenfläche mit: Krieg reißt Löcher, nimmt Menschen lebenswichtige Kontexte, entwurzelt sie und lässt sie allein – nicht zuletzt durch Auswirkung von Flucht aus der Heimat als letzte Überlebenschance. So wie familiäre Identität immer auch durch Familienfotos weitergegeben wird, so schreibt sich auch Krieg in viele Familiengeschichten ein, tötet einzelne Mitglieder, löscht ganze Familien aus. Sind die Fotografien von gruppiert stehenden Patronenhülsen nüchterne Platzhalter schrecklicher Familienschicksale? Oder von Gruppen von Kameraden? Sind die aufgereihten Hülsen eine Heimatstadt, die nicht mehr existiert? Inge Miczkas ‚Empty‘-Reihe weckt unterschiedliche Assoziationen sowohl allgemein-formale als auch sehr individuelle, und öffnet dabei einen Zugang zu identitären Leerstellen, die Krieg hinterlässt. Wie die meisten von Inge Miczkas Werken ist auch die Reihe ‚Empty‘ von Gegensätzlichkeiten geprägt: Die Patronenhülsen schimmern einerseits edel golden, andererseits bringen sie Tod und Verderben. Ähnlich der Hintergrund der Reliefs – er glänzt ästhetisch in poliertem Schwarz, welches in unseren Breiten gleichzeitig die Farbe der Trauer ist, Dunkelheit assoziiert und Schattenseiten prägt. Gibt es doch im Krieg immer jene, die profitieren, und jene, die dadurch leiden. Aufgrund des Kriegsgeschehens in der Ukraine sind Inge Miczkas gerade erst entstandene Arbeiten brandaktuell. Doch weltweit gibt es zeitgleich kleinere und weniger beachtete kriegerische bzw. kämpferische Konflikte, die leicht aus dem Blickfeld geraten. Diese rückt die Künstlerin mit ihren neusten Arbeiten automatisch zurück in den Fokus der Wahrnehmung. Denn Kriege sind – leider – menschlich und zu jeder Zeit möglich. Dieser traurige Umstand verleiht Inge Miczkas Arbeiten generelle Gültigkeit. So bleibt die ‚Empty‘-Reihe – erneut: ‚leider‘ – stets aktuell und ist damit ein zeitloses Werk, das sein Reflexionspotenzial immer neu entfaltet. Daneben transportieren die Arbeiten auch formal vorsichtig-hoffnungsvolle Ansätze: Leere Patronenhülsen bedeuten schließlich, dass von ihnen keine Gefahr mehr ausgeht. Könnten die einst todbringenden Geschosse somit als Friedenssymbole gelesen werden? Inge Miczkas Arbeiten führen auf verschiedenen Ebenen die Schrecken von Krieg vor Augen und machen dadurch bewusst, dass Menschen immer auch aus den Folgen von Kriegen lernen können. „Imagine all the people, livin‘ life in peace.“ – neue Vorstellungen, neue Visionen sind ein erster Schritt für Veränderungen. Inge Miczkas Arbeiten stoßen genau diesen Prozess des Umdenkens an.
Text: Daniel Scheffel 2022 C INGE MICZKA
Die Entstehungsgeschichte von Inge Miczkas Fotografie-Serie 'Meeresfrüchte' begann während
eines Sardinien-Aufenthaltes. Dort fiel der bildenden Künstlerin und Fotografin eines besonders
auf: die verstörende Gleichzeitigkeit von Schönheit und Verschmutzung der Natur am selben Ort.
Konkret war dies der kleinteilige Müll, der überall an den Strand geschwemmt wurde – Faszinosum
und Mahnbild zugleich. Zwiespältig beeindruckt, nahm Inge Miczka eine gewisse Menge des
Strandmülls mit zurück in die Heimat.
Im Atelier entwickelte die Künstlerin für die Müllteile eine schlüssige, zwingende
Verwendungsform. Sie fügte Elemente des klein(st)teiligen Fundus' zu verschiedenen Arrangements
zusammen und schuf aus immer neuen Kombinationen präzise komponierte Objekte. Von jedem
Objekt fertigte sie eine Fotografie an und nahm danach jedes der kaum Hühnerei-großen
Arrangements wieder auseinander. Es entstand eine Serie fotografischer Aufnahmen kleiner
farbenfroher Objekte, die in ihrer Vieldeutigkeit die existenzielle Grundthematik verdeutlichen.
Bei der künstlerischen Bearbeitung des Themenkomplexes Gesellschaft-Konsum-Nachhaltigkeit
geht es Inge Miczka um verschiedene Erkenntnisebenen und den stets zentralen Aspekt der
Ambivalenz. Auf der obersten – der offensichtlichsten – Ebene zeigt sich zunächst ein klassischer
Recycling-Aspekt: Müll wurde dem Müllkreislauf entnommen, einer neuen Funktion zugeführt und
fungiert als Symbol. Auf Prozessebene stellt Inge Miczka eine Analogie zum Konsumkreislauf her:
Indem sie die immer neuen Objekt-Arrangements nach dem Fotografieren direkt wieder abbaut,
verweist sie auf den schnellen Reiz des Neuen, der jedoch ebenso schnell vergeht – und
Müllmengen rasch vergrößert. Auf Produktionsebene druckt Inge Miczka die Fotografien der
winzigen Objekte in überdimensionalen Größen. Dieser Schritt der Abstraktion bewirkt gesteigerte
Attraktion, so dass die Diskrepanz – und damit die Ambivalenz – zwischen konstruierter Schönheit
und anschließender Ernüchterung im Erkenntnismoment noch gesteigert wird: Das beeindruckend
Schöne im Großformat bedeutet in Wahrheit eine große Umweltbelastung. Optisch wirken die
Motive sehr haptisch und anziehend, wie verführerische Amuse-Gueules (zugleich assoziativer
Ursprung des Projekttitels), und beinhalten dadurch eine zusätzliche – ambivalente – Symbolik:
Angesichts des Mikroplastiks in der Nahrung lassen sich die aus Müll arrangierten vermeintlichen
Leckereien durchaus real deuten. Solche Erkenntnismomente öffnen den Blick für subtilere
Ambivalenzen in Inge Miczkas 'Meeresfrüchte'-Serie. So ist beispielsweise in jedem Menschen
Schönheitssinn angelegt, demgegenüber werden die äußerst unschönen Folgen unreflektierten
Konsums jedoch wegschauend in Kauf genommen.
Die Charakteristika der 'Meeresfrüchte'-Serie ermöglichen zudem einen kunstgeschichtlichen
Anschluss. Da auf Inge Miczkas Motiven sorgfältig ausgewählte Elemente in bewusster Weise
angeordnet sind, können sich die Fotografien in den Kontext der Gattung des Stilllebens einordnen
lassen. Wie die Bildelemente der Stilllebenmalerei besitzen auch die Objekte der 'Meeresfrüchte'-
Motive symbolische Funktion. Zudem: Elemente der Stilllebenmalerei symbolisieren nicht lediglich
etwas anderes, sondern viele der an sich positiven Dinge transportieren sogar eine genau
gegenteilige – eine negative – Symbolik. Ebenso verhält es sich mit dem positiven Ersteindruck der
'Meeresfrüchte'-Motive und der anschließenden ernüchternden Erkenntnis des Negativen. Letztlich
verbindet ein Hauptaspekt die fotografischen Stillleben Inge Miczkas mit klassischen Stillleben: Es
geht um grundlegende Themen des Menschseins. Ist dies im kunsthistorischen Sujet beispielsweise
Mahnung vor Völlerei und Übermaß, so bringen Miczkas Fotografien menschliches Handeln in
heutiger Gesellschaftsrealität auf ähnliche Art zum Ausdruck: Sie zeigen auf subtile und
symbolhafte Weise einen Grenzbereich aktueller Konsumausmaße auf.
Über die genannten differenzierten inhaltlich-theoretischen Ebenen und Bezüge hinaus hat die
Künstlerin das Thema Nachhaltigkeit auch im Konkreten konsequent umgesetzt: Ihre fotografischen
Arbeiten sind Prints, gedruckt zum einen mit umweltfreundlicher Farbe auf ungebleichtem
umweltfreundlichen Papier, zum anderen auf wetterfesten Fahnen, deren Gewebe aus recyceltem
Mittelmeer-Plastikmüll besteht.
Text: Daniel Scheffel
Ungezähmt
Beruf und Privatleben unter einen Hut bringen? Für viele eine echte Herausforderung. Da kommt es
bei der Suche nach passender Umsetzung nicht selten vor, dass Arbeit mit nach Hause gebracht
wird. Inge Miczka dreht diese Dynamik um: Sie bringt das Private in den Beruf ein.
In ihrer Gemäldeserie 'Identität' von 2021 setzt sie sich mit dem Mutterwerden und Muttersein auseinander.
Der Impuls dazu kam, als ihr das Buch 'Ungezähmt' von Glennon Doyle in die Hände fiel. Darin behandelt
die Autorin die Situation der Frau und Mutter zwischen deren Erwartungen und eigenen
Bedürfnissen. Frauen streben „danach, gut zu sein: eine gute Tochter, eine gute Freundin, eine gute
Ehefrau – so wie die meisten Frauen schon als M dchen lernen, sich anzupassen“ (Glennon Doyle).
Auch wenn sich die klassischen Geschlechterrollen bereits deutlich gewandelt haben, so bleibt die
Thematik zeitlos relevant. Geschlechteridentität, insbesondere die weibliche, ist geprägt von vorangegangenen
bzw. konservativen Vorstellungen. Doch welche Bedürfnisse schlummern im Inneren?
Welche Identit tsaspekte wollen neben der Rolle als Mutter mitgelebt werden?
Wie das Frau- und Muttersein auf selbstbewusste und zeitgem e Art gelingen kann, zeigen die Gemälde
von Inge Miczka. Zentral ist der Prozess des Umgangs mit inneren und äußeren Veränderungen:
Pl tzlich ist man nicht mehr allein mit dem Partner, der Fokus ist neu auszurichten. Es gilt,
sich in neuen Rollen zurechtzufinden. Dabei stehen neben Gefühlen großen Glücks bald auch
Aspekte des Verzichts: Mit früheren Freiheiten scheint es vorerst vorbei zu sein, berufliche Pläne
müssen auf Eis gelegt werden, ebenso mancher Traum, den man sich erfüllen wollte. Aber ist es
wirklich so? Keine Alternative? Doch: Neben diesem scheinbar gesellschaftlich vorgezeichneten
Weg gibt es viele weitere. Und diese muss Frau nicht allein gehen, denn 'Mutter' wird auch der Vater,
für den sich ebenso vieles ändert. Das gemeinsame Klären von Fragen wie etwa zu veränderter
beruflicher Gestaltung, neuer Aufgabenverteilung zu Hause und den eigenen Bedürfnissen kann unterschiedlichste
Spiel- und Freir ume eröffnen.
Diese sind auf Inge Miczkas Gem lden zu sehen: Etwa die junge Mutter, die beim Kinderwagenschieben
ihre beruflichen Termine am Handy organisiert – professionalisiertes Multitasking, oder
eine Frau, die beim Füttern selbstbewusst einen Schluck Wein trinkt. Die Motive sind bewusst überspitzt.
Sie bringen auf den Punkt, dass neben der ungebrochenen Liebe für das Kind auch die Achtsamkeit
sich selbst gegenüber zu bewahren ist. So schwingt oft ein Quäntchen Provokation mit:
Stillen und Alkohol? Kind und Karriere? Doch die Zeiten haben sich ge ndert, und junge Mütter
bzw. Eltern ebenso.
Dass sich verantwortungs- und liebevolle Elternschaft mit individuellen Wünschen und Tr umen
sehr gut in Einklang bringen lässt, zeigt die Künstlerin nicht nur inhaltlich, sondern anhand des Materials
auch durch eine formale Entsprechung: Die Arbeiten sind eine Kombination aus Malerei und
digitaler Bearbeitung – der Hintergrund ist am Computer erstellt und wurde nach dem Malprozess
als Folie aufgezogen. Scheinbar Gegensätzliches kann sich bei gut durchdachter Anwendung optimal
ergänzen.
Mit ihrer Gemäldeserie 'Identität' führt Inge Miczka ihr künstlerisches Grundkonzept fort: Sie greift
ein Thema auf, visualisiert es in neuem – hier unüblichem, beinah provokantem bis tabubesetztem –
Zusammenhang und eröffnet dadurch weiterführende Ebenen, die Fragen aufwerfen. Wie bei bisherigen
Arbeiten versteht es Inge Miczka auch bei 'Identität', die inhaltliche Ebene durch reflektierten
Einsatz des verwendeten Materials zu erweitern.
Text: Daniel Scheffel
Und hier ein paar Eindrücke: